Run It Twice: Tipps zur Entscheidungsfindung
Von Martin „Potti“ Pott
„Cash Game. Alle Chips sind vor dem Flop oder am Flop bzw. Turn reingegangen. Soll ich das Board 2x oder 3x ausgeben lassen? Oder frei nach dem Motto Barfuß oder Lackschuh nur einmal scharf dealen lassen? Potti, du spielst doch viel PLO Cash Games und kennst diese Run it twice Situationen. Kannst du mir dazu ein paar Strategie-Tipps geben, wie ich mich in den jeweiligen Spots, wenn ich z.B. 70/30 vorn oder 20/80 hinten liege, am besten verhalten sollte?“
Fragen dieser Art zum Thema “Running it twice“ oder „Run it twice“ habe ich den letzten Jahren sehr häufig erhalten. Daher möchte ich euch heute ein paar Tipps mit auf den Weg geben. Bevor ich jedoch darauf eingehe, werde ich zunächst alle mit auf die Reise nehmen und ganz kurz erklären, was die Funktion “Run it twice“ exakt bedeutet.
Was bedeutet „Run it twice“ und „Run it three times“?
Bei NLH oder PLO Cash Games können sich die beteiligten Spieler bei der weltweit größten Online-Poker-Plattform GGPoker, aber auch in den allermeisten LIVE-Casinos, auf ein „Run it twice“ oder “Run it three times“ einigen, wenn alle Chips reingegangen sind und noch Boardkarten gegeben werden müssen. Die verbleibenden Karten werden dann mehrfach ausgeteilt, und es entstehen mehrere Pötte. Folgende Bedingungen müssen dabei zwingend erfüllt sein:
❏ Es sind maximal 2 Spieler im Pot.
❏ Einer der beiden Spieler ist All-In und es kann nicht mehr gesetzt werden.
❏ Es muss mindestens noch eine Boardkarte gegeben werden.
❏ Beide beteiligten Spieler müssen einverstanden sein, 2x (oder 3x) dealen zu lassen.
❏ Diese Funktion existiert ausschließlich in Cash Games. Nicht im Turnier.
Ganz wichtig: Wie auch immer ihr euch entscheidet, es verändert nichts an den mathematischen Erwartungswerten und Wahrscheinlichkeiten. Weder positiv noch negativ. Ob ihr die verbleibenden Karten 1x, 2x, 3x oder eben 100x austeilen lasst, ihr könnt mathematisch nichts falsch machen. Die Statistiken verändern sich nicht. Ist es also gehopst wie gesprungen, wie ihr euch entscheidet? Komplett egal?
NEIN! Es gibt einige sehr wichtige Faktoren, die ihr in eure Entscheidung einfließen lassen solltet, um eure Ergebnisse langfristig nachhaltig positiv zu beeinflussen.
Das leidige Thema Varianz
Auch bei Run it twice spielt die Varianz eine Hauptrolle. Auch wenn viele dieses Wort vielleicht nicht mehr hören können. Aber jeder erfahrene Pokerspieler – und natürlich jeder Poker-Profi sowieso – ist sich darüber bewusst, was die Varianz ausrichten kann. Im positiven wie im negativen Sinne. Die Zahlen spielen manchmal verrückt und Poker kann sich hier und da von der Sonnenseite oder von der ganz brutalen Seite zeigen. Eine 70/30-Situation, so schön die 70% auch klingen, heißt eben auch, dass in 3 von 10 Fällen die Gegenseite gewinnt. Manchmal sind wir Menschen nicht in der Lage, die Zahlen richtig zu begreifen und zu deuten. Daher werde ich einige Beispiele zum Vergleich und zum besseren Verständnis anfügen.
Wir haben 2 Asse und wir kriegen unsere Chips beim NLH vor dem Flop in die Mitte. Unser Gegner hat ein kleineres Paar. Egal welches Paar. Wir gehen für unsere Beispielrechnung von der klassischen 80/20-Situation zu unseren Gunsten aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir mit unseren Pocket-Assen 2 Pötte nacheinander gegen das kleinere Paar unseres Gegners verlieren, liegt um 33% höher im Vergleich zu einem Zahlentreffer beim Roulette!
Das nächste Beispiel verdeutlicht es vermutlich sogar noch besser. Wir halten die beiden roten Könige, und die Chips gehen gegen AJ von Pik unseres Gegners vor dem Flop rein. Bingo. Wir haben eine 67,33% Wahrscheinlichkeit den Pot zu gewinnen. Der Varianz wegen und um einen SUPER-GAU zu vermeiden, einigen wir uns mit unserem Gegner darauf, das Board 3x dealen zu lassen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir alle 3 Hände mit unseren Kings verlieren, liegt um 90%(!) höher als einen Dreier beim Lotto zu tippen.
Wenn ihr mit einem soliden Bankroll-Management spielt, so wird es langfristig nichts ausmachen, ob ihr es einmal dealen lasst oder mehrfach. Falls ihr Cash Game-technisch jedoch eher sportlich unterwegs seid, ihr euch am Tisch zudem wohl und überlegen fühlt, dann solltet ihr euch in jedem Fall für ein mehrfaches Dealen des Boards entscheiden, um die Varianz entsprechend zu mindern.
Der Faktor Disziplin bei Run it twice
Der meiner Meinung nach allerwichtigste Faktor bei der Entscheidung “Deal it once oder mehrfach“ ist jedoch ein anderer. Disziplin ist, wie wir alle wissen, ein elementarer und Erfolg bringender Faktor beim Pokern. Ich kenne viele Spieler, die wirklich gutes Poker spielen und ihr A-Game prima und konstant zeigen. Aber häufig eben nur bis zum dem Zeitpunkt, wie sie gut laufen. Sobald sie einen Badbeat reingedrückt bekommen, verfallen viele in ihr B-, C- oder manchmal auch in ihr F-Game. Das Verlieren eines einzelnen Pots, bei dem sie 70/30 vorne waren, löst dies manchmal bereits aus.
Ich kenne sogar Spieler, die auf TILT gehen, wenn sie nur einen einzigen Coinflip verlieren. Gegen solche Gegner solltet ihr dazu tendieren, nur einmal dealen zu lassen, um genau diesen oben beschriebenen Zustand auszulösen. Ihr werdet im weiteren Spielverlauf massiv davon profitieren. Aber Vorsicht: Solltet ihr selbst Tendenzen in dieser Richtung aufweisen und das Verlieren eines sicher geglaubten Pots wirft euch schon mal aus der Bahn, dann solltet ihr euch doch eher für das mehrmalige Dealen des Boards entscheiden. Wer aber vor DISZIPLIN strotzt, dem empfehle ich definitiv: Yalla, Abfahrt. One time!
Unberechenbar bleiben
Ein weiterer Grund für mich, in der Regel nur einmal dealen zu lassen, ist der, dass sich Gegner vielleicht darauf einstellen könnten, wenn man immer 2x dealen lässt. Das möchte ich vermeiden. Ich möchte meine Gegner vor schwere Entscheidungen stellen. Sie sollen nicht weich fallen, wenn sie meine Bets, Raises oder All-Ins callen. Sie sollen mich fürchten am Tisch und sollten immer davon ausgehen, dass ich es im Zweifelsfall nur einmal laufen lasse. Wenn du immer Run it Twice oder Run it three times akzeptierst, dann machst du es ihnen in ihren Entscheidungen wesentlich leichter.
Wir ihr seht, tendiere ich dazu, das Board nach einem All-In in der Regel nur einmal dealen zu lassen. Es gibt jedoch auch einige Ausnahmen. Wenn ich mich in einer freundlichen Runde befinde, in der von allen Personen am Tisch gewünscht wird, das Board grundsätzlich immer 2x oder 3x ausdealen zu lassen, dann widersetze ich mich selbstverständlich nicht und bin damit einverstanden. In Cash Game-Runden jedoch, in denen ich niemanden kenne, wird scharf gespielt. Sekt oder Selters. Barfuß oder Lackschuh. Deal it once!